Zwölf Jahre mehr für Atomkraftwerke

06.09.2010 von
Das monatelange Gerangel um die Atomlaufzeiten hat ein Ende. Die deutschen Atommeiler sollen im Schnitt 12 Jahre länger am Stromnetz bleiben. Ältere Meiler sollen 8 Jahre zusätzlich laufen, jüngere 14 Jahre. Dies teilten Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in der Nacht zum Montag nach fast zwölfstündigen Beratungen im Berliner Kanzleramt mit. SPD, Linke und die Bürgerinitiative Umweltschutz warfen der Regierung vor, sie habe sich den Lobbyinteressen der Stromkonzerne gebeugt.
 
Für die nun gefundene gestaffelte Lösung will die Regierung die 17 deutschen Atommeiler in zwei Gruppen unterteilen, je nach Baujahr. Im Gegenzug zur Laufzeitverlängerung müssen die großen Energiekonzerne wie geplant ab 2011 die Brennelementesteuer von 2,3 Milliarden Euro jährlich zahlen - allerdings nur befristet auf einige Jahre. Ergänzend wird ein neuer "Sonderbeitrag" zur Förderung erneuerbarer Energien fällig, auf den sich die Atomkonzerne vertraglich festlegen sollen.
 
Brüderle sprach von einem "großen Wurf", Rötten von einem Erfolg für die Koalition. Kanzlerin Am Vormittag hatten die Gespräche der Kanzlerin mit den zuständigen Ressortchefs im Kanzleramt begonnen. Am frühen Nachmittag waren die Partei- und Fraktionschefs von Union und FDP dazugestoßen.

Vor dem Kanzleramt hatten sich am Nachmittag mehrere hundert Atomkraftgegner versammelt. Sie protestierten mit Transparenten, Tröten, Trillerpfeifen und Sprechchören gegen die Regierungspläne und ließen 2000 schwarze und gelbe Luftballons mit AKW-Symbolen und Totenköpfen aufsteigen. Zu den Protesten hatten mehrere Verbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die atomkritische Organisation Campact aufgerufen. Die Spitzen der Opposition kamen ebenfalls vor das Kanzleramt und warfen der Regierung geschlossen Lobbyismus vor.
 
Linke-Parteichefin Gesine Lötzsch sagte nach der Einigung: "Die Stromlobby hat sich in entscheidenden Fragen durchgesetzt. Der Bund hat sich unter Merkel als erpressbar erwiesen." Die Atomkonzerne dürften mit abgeschriebenen Meilern billig Strom produzieren, ihn teuer verkaufen und die Gewinne zu großen Teilen einstecken. Der schnelle Atomausstieg komme wieder auf die Tagesordnung, sobald es eine andere Regierungsmehrheit gibt, versprach sie.
 
Nach Ansicht von SPD-Chef Sigmar Gabriel löst die Regierung mit ihrem Vorhaben zur Laufzeitverlängerung "einen neuen gesellschaftlichen Großkonflikt aus". Die von den Grünen prophezeite These, es werde einen "heißen Herbst" geben, hält er jedoch für eine "überlebte Formel". Für ihn sei aber klar, "dass eine deutliche Mehrheit der Bürger nicht will, dass das Kanzleramt zu einer Außenstelle der Atomlobby verkommt", sagte Gabriel. Es werde wegen die Nichtbeteilung des Bundesrates beim Prozess der Laufzeit-Verlängerung Verfassungsklage erhoben.
 
Der Sprecher der BI Umweltschutz, Wolfgang Ehmke, sagte, die Regierung sei sich vor allem darin einig gewesen, die Profitinteressen der Konzerne zu bedienen. Die Gorleben-Gegner rufen angesichts dieser politischen Zuspitzung zur Demonstration in Berlin am 18. September auf: "Wir müssen auf diesen politischen Müll, der in Berlin verzapft wird, reagieren und werden auch in Berlin demonstrieren."
 
Die Bundesregierung benötigt nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Kay Windthorst für eine Verlängerung der Laufzeiten in jedem Fall die Zustimmung des Bundesrats - unabhängig von der Dauer. "Bei einer Laufzeitverlängerung muss das Atomgesetz geändert werden", sagte der Professor für öffentliches Recht an der Universität Bayreuth. Das führe jedoch zu einer wesentlichen Änderung der atomrechtlichen Regelungen, da sie im Ergebnis den Atomausstieg teilweise rückgängig macht. "Hierfür bedarf es der erneuten Zustimmung des Bundesrates", sagte er.
 
Mit seiner Position widersprach Windthorst der Ansicht von Rechtsexperten aus Union und FDP, die eine Zustimmung des Bundesrates nicht für notwendig erachten. Längere Atomlaufzeiten haben nach Windthorsts Ansicht gravierende Folgen für die Länder. Diese müssten länger Personal- und Sachmittel bereitstellen, außerdem würden die erweiterten Eingriffsmöglichkeiten des Bundes gegenüber den Ländern verlängert.
 

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